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Regenwald statt Spreewald

Wir, die glorreichen Sieben, sind durch den Regenwald geradelt und haben die sieben Brücken über den sieben Kanälen bezwungen. Während einer Strecke von fünfzig Kilometern, in der uns die Einheimischen vor verschlossenen Türen haben dursten und darben lassen, wurden wir im ersten Gang gewaschen, im zweiten geschleudert und durchgerüttelt, um im dritten getrocknet zu werden und mit Sonnenschein für die Strapazen belohnt in der Heimat anzukommen.

Es war ein schöner, grauer Sonntagmorgen. Ich stand gegen 7 Uhr auf, es war schon hell. Um kurz vor acht nahm ich die U-Bahn von Steglitz und war wenige Minuten später am Bahnhof Zoo. Dort wartete ich auf dem Gleis 2 auf die Regionalbahn und die Organisatorin der Tour. Johanna kam in ihrer kompletten Radmontur mit langer Hose und Jacke. Das Wetter war trocken und unerwartet warm, um die 20 Grad. Gegen halb 9 stiegen wir vorn in den Zug ein. Das Fahrradabteil, das für bis zu zwölf Räder ausgelegt war, war bis auf zwei Reisende komplett leer. Wir stellten die Räder seitlich an die Wand und statt des vorgesehenen Sicherheitsgurtes wie im Auto verwendete ich einen Spanngurt. Die nächste Mitreisende stieg am Alex hinzu. Und der letzte große Schwung am Ostbahnhof, so dass wir nun zu siebt waren – zwei Männer und fünf Frauen. Trotz des grau verhangenen Himmels waren alle gut gelaunt und freuten sich auf eine spannende Tour durch den Spreewald.

In Königs Wusterhausen stieg eine sehr fröhliche Truppe zu, die wohl den Samstag in Berlin durchgefeiert hatten. Die Sektflaschen zum Frühstück hielten sie in der Hand, die Gläser klirrten und aus einer kleinen Box drang Musik. Der Zug fuhr gemütlich über Wiesen und Felder und hielt an einigen Bahnhöfen in kleinen Orten. Am Horizont war bald die große Tropenhalle vom Tropical Island zu sehen, in der ursprünglich Luftschiffe gebaut werden sollten. Im Spaß sagte ich, dass wir zur Not dorthin fahren könnten, wenn uns der Wettergott im Stich ließe, um am Strand Wasser und Wärme zu genießen. Als wir Lübben passiert hatten, sortierten wir uns, entsicherten die Fahrräder und machten uns für den Ausstieg in Lübbenau bereit. Die fröhliche Truppe verließ auch den Zug durch den gleichen Ausgang, so dass es eine Weile dauerte, bis wir alle raus waren. Es tat gut, die frische Luft zu spüren. Nicht mehr ganz so warm wie in Berlin, aber angenehm. Inzwischen hatte es jedoch begonnen zu Nieseln. Die erste Amtshandlung von allen war, sich Regenhosen, -jacken oder -capes überzuziehen. Nur zwei Frauen hatten keine spezielle Hose dabei, die eine in kurzer Radlerhose, die andere in Jeans. Aber da sie wussten, worauf sie sich eingelassen hatten, waren auch sie guter Dinge, dass der Nieselregen bald aufhören würde.

Wir verließen den Bahnsteig durch einen Tunnel, der mit den schönsten Malereien von Gebäuden und der Landschaft aus dem Spreewald mit blauem Himmel und wenigen Wölkchen verziert war. Wir hätten die Tour hier beenden, in den nächsten Biergarten einkehren und nach einigen Stunden zurückfahren können und hätten trotzdem vieles gesehen. Doch wir waren alle gespannt und wollten den Spreewald richtig erleben. Es war kurz nach halb 10. Auf dem Bahnhofsvorplatz peilte ich unsere Fahrtrichtung nach Norden an. Ein kurzes Stück fuhren wir entlang der leeren Hauptstraße und bogen dann rechts ab durch ein kleines Wohngebiet. Der Regen nahm etwas zu, war aber noch längst im Erträglichen. Wir stoppten kurz, damit sich Paul wetterfester umkleiden konnte. Zwei Radfahrer kamen uns mit unglücklichen Gesichtern entgegen. Sie nickten uns zaghaft zu. Ich grüßte einen einheimischen Fußgänger und er erwiderte mit einem fröhlichen Gruß und guter Fahrt. Wir bogen links in eine Straße ein und steuerten schon bald auf ein Feld zu. Noch ein Stückchen weiter geradeaus und dann rechts, schon waren wir aus dem Dorf raus. Der Weg war breit und gut asphaltiert. So würden wir gut voran kommen. An den Rändern zu den Feldern standen ein paar kleine Pfützen. Sie wechselten sich mit einigen Baumreihen ab. Wir hielten nach den Wegweisern mit der radfahrenden Gurke Ausschau, die uns den Rundweg auf einer Länge von 50-60 km durch den Spreewald aufzeigen sollten. Die ersten Kilometer fuhren sich sehr gut weg. Wir standen an einer Kreuzung und ich war mir nicht sicher, welchen Weg wir nehmen mussten. Ein Blick auf die Karte verriet jedoch, dass wir schon vom Kurs abgekommen und zu weit gefahren waren. Wir mussten also einige Meter entlang eines Kanals, der sich als Spree herausstellte, zurück und bogen dann links ab und überquerten die Spree. Dann fuhren wir zwischen Feldern und Sumpfgebieten durch eine offene Landschaft. Auf der rechten Seite gab es immer wieder kleine Kanäle. Vom Wald, wie der Name Spreewald vermuten lässt, war bisher jedoch keine Spur. Bald fuhren wir über einen Holzbohlenweg, bei dem bei der Nässe Vorsicht beim Fahren geboten war. Nach einem kleine Bogen des Weges tauchte ein erstes Wäldchen auf, in dem es eine Informationstafel gab. Dort stand etwas über die Eiszeit und die Entstehung des Gebietes geschrieben (Ausgrabungsstätte der Batzlin). Bei diesem kleinen Stopp hatte der Regen nachgelassen und fast aufgehört. Aufgrund der Wärme war es ratsam, sich wieder auszukleiden und an der frischen Luft weiterzufahren. Der Himmel lichtete sich ein wenig und das eintönige Grau wich den Umrissen von Wolken.

Wir fuhren weiter nördlich und querten den Burg-Lübbener Kanal. Der feste Weg wurde zu einem Kies-Feld-Weg, der aber gut zu befahren war. Wir folgten dem 1. Quergraben und überquerten den Diamantengraben. Zwischen den Feldern ging es weiter bis zum Nordumfluter, dem wir rechts abbiegend folgten. Am Himmel über uns kreisten zwei Rotmilane mit ihren breiten Schwingen und hielten nach Beute Ausschau. An einer größeren Straße mussten wir links und kurz darauf wieder rechts durch das Naturschutzgebiet Bukoitza. Wir hielten kurz an, um auf die Karte zu schauen und die Regenklamotten wieder anzuziehen, denn der Himmel hatte sich verdunkelt und es regnete etwas kräftiger. Hier wurde der Weg zum ersten Mal uneben und steiniger. Der Boden war durch einen Traktor, der einige hundert Meter vor uns fuhr, aufgewühlt worden. Der Traktor hatte an einer Weide gehalten. Die Bäuerin war auf dem Feld und sammelte etwas in einem Behälter ein. Der Bauer wartete im Traktor. Wir zogen an ihnen vorbei und hatten wieder guten Asphalt unter den Reifen. Links auf einem Feld konnte ich einmal drei und einmal fünf Rehe in einiger Entfernung entdecken. Es ging schnurstracks geradeaus bis die Straße kurz vor Alt-Zauche einen Bogen machte. Der Regen wurde heftiger und manch einer von uns war schon etwas durchnässt. Der Traktor kam von hinten angetuckert und hatte uns fast eingeholt. Da wir aber kurz vor dem Dorf waren, traten wir noch einmal in die Pedale, um nicht die Abgase des Traktors einatmen zu müssen. Während wir uns rechts hielten und auf die Dorfstraße zusteuerten, fuhr der Traktor geradeaus auf die Siedlungsstraße. Das Nass von oben hatte noch einmal kräftig zugelegt und es war klar, dass wir hier in dem Ort eine Pause einlegen wollten. Wir hielten die Augen nach einem Restaurant oder Cafe offen. Doch alles war wie ausgestorben. Nur an der Bushaltestelle harrten zwei Radfahrer dem Regen. Wir hätten uns unter die zweite stellen können, doch die Mehrheit wollte ins Warme und einen Kaffee oder Tee genießen. Endlich war ein Restaurant in Sicht. Es war nicht das einladenste, aber besser als in der Nässe und Kälte zu bleiben. Die Eingangstür war jedoch verschlossen und ein Schild verriet, dass sonntags nur von 12-14 Uhr geöffnet sei. Damit hatten wir nun gar nicht gerechnet. Es war erst kurz vor 11. Auf der Straße hatte Paul einen Wegweiser zu einem weiteren Restaurant gesehen, so dass wir schnellstens weiter fuhren, in der Hoffnung, dass es dort etwas geben würde. Wir folgten dem Mühlweg und landeten bei der Alt Zaucher Mühle. Ein kleines, sympathisches Gehöft war da und sah sehr einladend aus. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf und wir freuten uns auf ein warmes Plätzchen. Wir stellten die Fahrräder ab, studierten die Tafel, auf der frischer Kirschkuchen angepriesen war, und wollten das Haus betreten, aber die Tür war verschlossen. Es war nun kurz nach 11. Geöffnet werden sollte hier auch erst ab 12. Dabei war es hier so gemütlich. Durch ein Fenster konnte man das Feuer im Kamin lodern sehen und es roch nach frisch gebackenem Kuchen. Die Verlockung war groß, doch hatte ich das Gefühl, dass wir wie Hänsel und Gretel durch den Wald geirrt waren, nun vor dem Lebkuchenhaus, das die Erfüllung unserer Wünsche versprach, standen, uns aber niemand Einlass gewährte. Das Haus hatte zum Glück einen Dachüberstand, so dass wir im Trockenen auf den Eingangsstufen warten konnten. Plötzlich erschienen zwei Personen aus dem Seiteneingang des Hauses und brachten in einem Korb eine Menge leerer Weinflaschen in den großen Holzschuppen gegenüber. Als wir sie ansprachen, ob man uns schon früher hereinlassen könne, bekamen wir leider nur die Antwort, dass sie noch aufräumen müssten. Alsbald waren sie wieder verschwunden. Wir hofften trotzdem und warteten. Das Geräusch eines Staubsauger war zu hören und polterte von innen gegen die hölzern verzierte Eingangstür. Die beiden, die sich mit dem Rücken sitzend daran gelehnt hatten, erschraken und alberten, dass sie dann vielleicht bald fertig mit dem Putzen seien. Indessen holten wir unsere mitgebrachte Verpflegung hervor und beobachteten den Regen, der nun noch einmal kräftig zunahm. Die Tropfen vielen auf das Kopfsteinpflaster und zerbarsten mit Entschlossenheit. Es wollte nicht aufhören. Jemand sagte, dass es in gutes Zeichen sei, wenn sich durch den Regen viele kleine Bläschen in den Pfützen bildeten. Und da das bei uns genau der Fall war, hatten wir ein wenig Hoffnung, dass es mit dem Wetter doch noch besser werden würde. Wir beobachteten den Himmel, der sich aufhellte. Für einen Moment ließ der Regen nach, um jedoch einige Augenblicke später mit erneuter Intensität herabzufallen. Inzwischen war es 11:15 geworden und die Tür war immer noch versperrt. Da wir uns aus unseren eigenen Mitteln gestärkt hatten, kam der Drang auf, endlich weiter zu fahren. Denn durch die Pause ohne Bewegung kühlte der Körper allmählich aus. Paul gab den Anstoß zur Weiterfahrt, als der Regen scheinbar etwas nachließ. Wir trotteten zu unseren Rädern. Ich hängte meine Gepäcktasche ein, trocknete mit einem Tuch den Sattel und die Handgriffe und saß dann auf. Als neues Ziel sehnten wir uns unbedingt nach einem geöffneten, warmen und trockenen Gasthaus.

Der nächste Ort, den wir ansteuern wollten, war Neu Zauche. Wir fuhren ein kurzes Stück nach Süden, um dann links abbiegend schnurgerade dem B-Graben zu folgen. An diesem Graben gab es auf der rechten Seite auch noch ein Gasthaus, das aber nur einsam und leer zwischen den Feldern lag. Wir fuhren weiter. Inzwischen war die Schönheit der Landschaft nicht mehr ganz im Vordergrund. Ich schaute zwar immer wieder mal auf die Felder und hielt nach Tieren Ausschau, aber damit wollte ich mich nur ablenken. Ich hoffte, bald eine richtige Pause einlegen zu können. Alsbald bogen wir links ab. Die Straße wurde zu einer löchrigen, steinigen Piste, die ich mit meinen schmalen Reifen nur in langsameren Tempo, um nicht auf einem Stein wegzurutschen, bewältigen konnte. Zum Glück währte diese Strecke nicht allzu lang. Wir bogen rechts ab und folgten nun dem A-Graben. Wir fuhren kilometerweit geradeaus und orientierten uns an der Beschilderung. Der Regen prasselte unaufhörlich hernieder. Zur Nässe von außen kam die Nässe von innen hinzu. Mir war warm und ich klebte. Ich war mir unsicher, ob meine Regenhose auf den Knien ein Leck hatte. Im Grunde war es egal. Es war einfach nass. Und wie wir Sieben trotzdem diese Strecke im Regen bewältigten, konnte es mir nur ein Kopfschütteln und ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern. Irgendwie war die Tour unter diesen Bedingungen total verrückt. Aber da wir nicht allein unterwegs waren, die anderen das gleiche Schicksal teilten und wir trotzdem noch gute Laune hatten, machte es diese Tour zu einem einzigartigen Erlebnis, das wir nie wieder vergessen würden. Ein großer Vorteil des Wetters war, dass die gesamten Wege nur uns gehörten. Wir mussten keine Rücksicht auf Wanderer und Radfahrer nehmen, sondern konnten zu zweit nebeneinander die komplette Straße einnehmen und um die Pfützen und vereinzelten Schlaglöcher herum schlängeln. Durch den Regen und den Appetit voran getrieben, erreichten wir irgendwann eine Kreuzung, wo es nur links oder rechts weiter ging. Nach links waren es knapp 2 Kilometer bis Straupitz, nach rechts ging es Richtung Lübbenau. Ich sah auf meine Karte und musste feststellen, dass wir einen Linksabzweig, der uns nach Neu Zauche führen sollte, verpasst hatten. Stattdessen waren wir immer geradeaus gefahren. Ich schlug vor, trotzdem nach Straupitz zu fahren, in der Hoffnung, dort einen Augenblick im Warmen verweilen zu können. Der Straßenbelag war hier richtig gut asphaltiert und so stimmten die anderen zu. Die Aussicht auf ein Plätzchen zum Verweilen und die nur knapp zwei Kilometer spornten so an, dass wir in rasendem Tempo die Strecke zurücklegten und uns gegenseitig anfeuerten, klingelten und überholten. Über die Kirchstraße fuhren wir in Straupitz ein und hielten die Augen offen. Geradewegs vor uns waren die Doppeltürme einer Kirche zu sehen, als ich am rechten Straßenrand ein Gebäude, dass nach einem Cafe aussah, erspähte. Es handelte sich um die Alte Scheune, ein mehrstöckiges Steingebäude. Ein Blick durch die Tür verriet, dass es gut besucht war und uns fiel ein mächtiger Brocken vom Herzen. Es war kurz nach 12 Uhr und wir hatten die erste Gaststube im gesamten Spreewald gefunden, die geöffnet hatte. Wir parkten unsere Fahrräder seitlich hinterm Haus unter Bäumen und betraten triefend die Scheune.

Die alten Damen wiesen uns an, die nassen Klamotten an der Garderobe aufzuhängen und hießen uns mit einem „Wer fährt denn bei solch einem Wetter mit dem Fahrrad durch den Spreewald?“ herzlich willkommen. Es gab ein kurzes Wirrwarr bis jeder sich seiner Regensachen entledigt hatte. Ich zog meine Regenjacke und Regenhose aus. Die Hose kehrte ich links herum und hängte sie mit der Jacke und meinem Fahrradhelm zum Trocknen. Meine Jeans war wie erwartet an den Knien leicht durchnässt. Ich begab mich auf die Toilette, nahm von dem Papier zum Trocknen der Hände und stopfte dies von innen in meine Jeans auf die Knie und Oberschenkel. Somit konnte das Papier ein wenig von der Feuchtigkeit aufsaugen und die kalt nasse Jeans klebte mir nicht auf den Beinen. Es fühlte sich gleich angenehmer und wärmer an.
Die anderen hatten inzwischen hinten links ein Plätzchen für uns gefunden. Wir hatten dort zwei kleine Tische, umringt von alten Stühlen und einen bequemen Oma-Sessel. Wir saßen direkt neben dem Kamin, der leider nicht brannte, in einem schummrigen Licht. An den Wänden hingen alte Bilder und Fotografien. Auf einem Tischchen stand ein lachsfarbener Wiesenstrauß mit zierlichen Stängeln und kleinen Blüten. Auf dem Holzboden lagen Teppiche und es war richtig gemütlich wie in Omas Stübchen.
Rechts neben dem Eingang gab es eine kleine Theke, an der man sich bei einer alten Dame Kuchen und ein warmes Getränk bestellen konnte. In einem kleinen Raum daneben befand sich die Küche, wo im Ofen gerade ein frischer Käsekuchen gebacken wurde. Gerne hätte ich von diesem warmen genommen, aber es war noch kalter Käsekuchen da. Johanna und ich waren die letzten, die noch bestellen mussten, die anderen hatten sich schon gesetzt. Wir nahmen beide den Käsekuchen mit einer Tasse heißem Kakao, was jeden von uns drei Euro kostete. Wir warteten kurz und die alte Dame erzählte, dass wir uns auch gern die Scheune mit Führung für 2,50 Euro ansehen könnten. Die oberen Stockwerke seien zu einem kleinen Heimatmuseum ausgebaut worden. Das hörte sich nicht uninteressant an, aber der Ausblick auf Kuchen und heißen Kakao war verlockender. Die Dame stellte unsere Teller und Tassen auf ein Tablett, das ich an unseren Tisch brachte. Der Käsekuchen schmeckte sehr gut und ich genoss es, ihn langsam im Mund zergehen zu lassen. Der Kakao, der mehr in einem hohen Steinkrug als in einer Tasse serviert worden war, schmeckte auch, war jedoch nicht so heiß wie erwartet. So saßen wir eine Weile da. Wir waren geschafft, aber glücklich und mächtig Stolz darauf, was wir geleistet hatten. Mehr als die Hälfte der Strecke, nämlich 30 Kilometer, lagen hinter uns. Und das in nur zweieinhalb Stunden. Der Blick aus dem Fenster zeigte ein gewohntes Bild: Regen, Regen, Regen. Johanna fragte in die Runde, ob jemand Lust hätte, die Führung durch die Scheune mitzumachen, aber dafür war niemand zu begeistern. Ich zögerte einen Moment, wollte aber doch lieber nur sitzen und ausruhen. Sabine, die schon vor einer Stunde ihren Durst nach Kaffee geäußert hatte, bestellte sich noch einen. Sie fuhr die Strecke nur durch einen Poncho geschützt. Da das Wasser aber aus allen Richtungen spritzte, wurde ihre Jeans in Mitleidenschaft gezogen und war durch den Kapillareffekt nahezu komplett durchnässt. So saßen wir sicher eine dreiviertel Stunde und es wurde immer schwerer, erneut aufzubrechen. Ein Mittagsschläfchen hätte gut getan. Inzwischen waren viele andere Gäste gegangen und die alte Dame schaltete auch in unserer Ecke versehentlich das Licht aus. Wir deuteten das als Zeichen und hatten die Erkenntnis gewonnen, dass das mit dem Regen heute sowieso nicht mehr aufhören würde. Also packten wir uns und wollten nun auf kürzestem Wege zurück nach Lübbenau fahren. Während die anderen ihre Fahrräder schnell abgeschlossen hatten und einen Abstecher zur Kirche machten, hantierte ich mit meinem Regenponcho. Da meine Regenjacke kaum noch Schutz bot, wollte ich durch eine zweite Schicht darüber die Schutzwirkung verbessern. Und durch den Poncho, den ich über meine Knie legen konnte und am Lenker festhielt, waren auch meine Beine zusätzlich geschützt. Wenig später rollten die anderen an mir vorbei und wir fuhren die gut asphaltierte Straße zurück, die wir gekommen waren. Johanna fiel plötzlich zurück und hielt an. Die anderen hatten es nicht mitbekommen und fuhren weiter. Ich ließ mich ausrollen und sah mich bei langsamem Tempo immer wieder nach ihr um, ob sie eine Panne hatte. Nachdem Johanna wieder aufs Rad gestiegen war und mich eingeholt hatte, schlossen wir gemeinsam zur Truppe auf. Sie hatte angehalten, weil sie geglaubt hatte, ihre Geldbörse in der Scheune vergessen zu haben. Das war zum Glück nicht der Fall. Mit schnellem Tritt hatten wir die anderen bald eingeholt.

Die Navigation mittels meines Smartphones versagte irgendwann, weil die unvermeidlichen Regentropfen auf dem Gerät die Bedienung unmöglich machten. Es reagierte nicht mehr auf meine Tipp- und Wischbewegungen. Stattdessen übernahm Paul das Kommando und setzte sich an die Spitze unserer Truppe. Wir steuerten auf Burg-Kauper zu und fuhren in den inneren Oberspreewald. Ein Schild verhieß, dass es nur noch 10 Kilometer bis Lübbenau sein sollten. Es konnte sich nur um eine Abkürzung handeln, da der reguläre Gurkenradweg noch ca. 20 Kilometer vorgesehen hätte. Hier wurde es nun tatsächlich waldiger, der weite Blick war den Bäumen gewichen. An manchen Kreuzungen mussten wir uns zwischen zwei Varianten nach Lübbenau entscheiden, und wir nahmen immer die geringere Kilometerzahl. Plötzlich hielt Paul an einem Abzweig an, wo ein kleiner, recht matschiger Weg in den Wald führte. Ob es dort tatsächlich nach Lübbenau gehen sollte, war nicht auszumachen. Da unser Weg wenigstens festen Untergrund hatte, wollten wir diesem weiter folgen. Doch irgendwann verließ uns das Glück und aus dem Weg wurde eine Buckelpiste. Betonplatten von knapp 2 Metern Breite und 50 Zentimetern Länge sollten uns nun begleiten. Die Platten lagen so krumm und schief, dass permanent ein Ruckeln und Schütteln durch Rad und Fahrer ging. An jeder Kreuzung hofften wir, dass danach ein normaler Weg beginnen würde, aber das Glück war uns nicht hold. Wir zuckelten über die Strecke, was zu lasten von Händen, Armen und Gesäß ging. Bei mir kam neben den schmalen Reifen hinzu, dass ich keinerlei Federung am Fahrrad hatte. Schon bald war uns die Lust vergangen und wir bereuten, dass wir nicht den schmalen Waldweg genommen hatten. Ich fuhr inzwischen als letzter und sagte mir, dass auch diese Strecke irgendwann ein Ende nehmen müsse. Eine Kreuzung tauchte auf und wir hielten an, um uns zu orientieren. Mit Erstaunen stellten wir fest, dass wir irgendeinen Abzweig verpasst hatten, denn die kürzeste Strecke nach Lübbenau lag nach den Wegweisern genau in der Richtung, aus der wir gekommen waren. Uns blieb nichts anderes übrig als kehrt zu machen und ein Stück der Buckelpiste zurück zu fahren. Zum Glück waren es nur einige hundert Meter, bis es rechts einen Abzweig nach Wotschofska gab, einem russisch klingenden Gasthaus, in dem ich als Hausgetränk Wodka erwartete. Nichtsdestotrotz blieben uns die geliebten Betonplatten erhalten. Wir kreuzten jetzt häufiger die Kanäle und hielten eine kleine Rast auf einer Brücke. So anstrengend die letzte Strecke auch gewesen war, so still und friedlich lag der von Kanälen durchzogene Wald da. Die Tropfen prasselten auf das Blätterdach und hinterließen kleine Bläschen in den Kanälen. Niemand außer uns war zu sehen und es kehrte eine erholsame Ruhe ein. Nur ein paar Mücken, die ich bei diesem starken Regen nicht erwartet hätte, mimten den Spielverderber. Wir tranken und aßen eine Kleinigkeit, bevor wir die letzten Meter auf der Buckelpiste bis Wotschofska hinter uns brachten. Sabine, deren Jeans komplett durchnässt war, hatte inzwischen sogar weißen Schaum an den Knien. Sie hatte sicherlich zu viel Waschpulver verwendet, und durch die Nässe und die Reibung der Hose auf den Knien hatte sich wie in der Waschmaschine eine Schaumkrone gebildet. Sie hatte erst versucht, den Schaum mit den Händen abzustreichen, aber nach wenigen Metern hatte er sich wieder neu gebildet, so dass sie es nur mit Humor nehmen konnte. Es war ein unwirkliches Bild und ich stellte mir vor, dass ein tollwütiger Fuchs mit Schaum vor dem Maul genau so ausgesehen haben müsste.

Hinter Wotschofska, einem Gasthof, der auch sehr verschlossen aussah, hatten wir endlich wieder glatten Bodenbelag und schlängelten uns jetzt durch den Wald. Als dann auch noch die Kanäle nur zwei Meter neben uns auftauchten und wir auf fast gleicher Höhe des Wassers nebenher fuhren, wurde es so idyllisch und romantisch, dass der Regen vergessen war. Wir waren jetzt auf dem schönsten Stück des Spreewaldes und steuerten auf das bekannte, von Kanälen durchzogene Dorf Lehde zu. Seit langem sahen wir Menschen. Zwei Fußgänger mit Hund kamen uns entgegen und wir versicherten uns bei ihnen, dass wir auf dem richtigen Weg nach Lübbenau waren. Wir rauschten durch den Wald bis wir zu den ersten Holzbrücken kamen, über die wir auf Treppen unsere Fahrräder hinüber tragen mussten. Mein Regenponcho, den ich am Lenker festhielt, hatte jedes Mal in der Kuhle über meinen Beinen eine Menge Wasser aufgefangen. Ich schüttete sie aus, stieg dann ab und versuchte es Paul und Johanna gleich zu machen und beim Überqueren der Brücke nicht durch die riesigen Pfützen davor zu waten. Als Johanna ihr Rad in die Führungsschiene der Brücke hob, um sie leichter queren zu können, rutschte das Hinterrad weg. So hing sie halb auf der Treppe und konnte nicht vor und zurück. Ich packte mit der freien Hand zu und richtete das Rad auf die Schiene, immer bemüht, nicht selbst in die Pfütze zu treten.

Auf der anderen Seite saßen wir erneut auf, wunden uns durch den Wald und wiederholten das Prozedere an jeder weiteren Brücke. Schon bald waren die ersten reetgedeckten Häuser zu sehen. Zwei Kajaks, mit je drei Personen, waren auf dem Kanal unterwegs. Es waren Schüler mit ihrem Lehrer. Die Kinder sahen nicht so glücklich aus und kamen auch mit dem Steuern nicht gut zurecht. An einer der letzten Brücken, bevor wir Lübbenau erreichten, stand eine großes Krippenbett aus Holz. Es handelte sich um eine Kunstinstallation. Während wir dort kurz auf den Rest unserer Truppe warteten, kamen zwei Kähne, die mit Rentnern gefüllt waren. Unter einer Plastikplane gut vor Regen geschützt und bewirtet ließen sie sich gemütlich durch den Spreewald staken. Johanna sah mich an und sagte, dass wir auf jeden Fall die aufregendere und bessere Tour gehabt haben als diese Rentner. Dem war nichts hinzuzufügen. Wir erreichten den Spreewaldhafen in Lübbenau, wo die meisten Kähne ruhten. Es war gegen 15 Uhr und wir überlegten, jetzt noch in eine Gaststätte einzukehren und unsere Tour zu feiern. Da jedoch einige sehr durchnässt waren, wollten wir lieber einen Zug eher nehmen. Wir steuerten auf den Bahnhof zu und wie sollte es anders sein, der Himmel hellte auf und es hörte tatsächlich auf zu Regnen. Es waren auch wieder Leute auf den Straßen unterwegs. Die Sonne mühte sich vorsichtig ab und schaffte es auch bald, ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke zu schicken. Wir, die glorreichen Sieben, fuhren auf die Zielgerade ein und fuhren siegessicher, glücklich und strahlend auf den Bahnhof zu. Wir hatten es geschafft. Der Zug kam gegen 15:20 und wir belegten im vorderen Teil nahezu ein komplettes Fahrradabteil. Die Bahn war voller als heute morgen, aber jeder fand einen Platz zum Sitzen. Die nassen Regensachen hatten wir ausgezogen. Johanna reichte ein paar Waffeln herum und wir ließen in Gedanken das Erlebte Revue passieren. Je näher wir Berlin kamen, desto mehr kam die Sonne heraus. Die graue Wolkendecke wich dem blauesten Himmel. In umgekehrter Reihenfolge, wie wir zugestiegen waren, verabschiedeten wir uns voneinander. Ich fuhr mit Johanna bis zum Zoo. Am Hauptbahnhof stieg zuvor ein Pärchen hinzu, dass einen kleinen Affen bei sich hatte. Der Mann war Tierpfleger und kümmerte sich um das Jungtier. Das Äffchen klammerte sich an seinem Shirt fest und turnte auf ihm herum. Hätte ich es nicht besser gewusst, so hätte das Äffchen aus dem Regenwald, ich meine Spreewald, gekommen sein können. Eins war jedoch sicher: diese Fahrradtour werden wir nie vergessen.