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Rapunzel

Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!
Ach Liebster, mein Liebster, ich färb’s erst noch bunter.
Das Haar will ich schneiden, doch nur an den Spitzen,
Das geht ganz schnell vor dem Spiegel im Sitzen.

Dann muss ich sie gründlich mit Warmwasser spülen,
Schon bald wirst du es selber erfühlen,
Wie kuschelweich mein Haar dadurch wird,
Wie Sonnenlicht durch die Strähnchen flirrt.

Dann nehm‘ ich die Bürste und werde sie kämmen
Und pudern, um Läuse einzudämmen.
Ich trockne die Haare mit dem Heißluftfön,
Mein Liebster, für dich nur mach‘ ich mich schön.

Mein Pony muss schließlich geglättet werden,
Damit ich die Schönste werde auf Erden,
Ist dieser Schritt endlich auch getan,
Fang ich schon mit dem Flechten an.

Doch weil’s, wie du weißt, einige Meter sind,
Gedulde dich kurz, ich mache geschwind,
Zu guter Letzt werde ich’s parfümieren
Und etwas Pomade zum Halt hinein schmieren.

Nach einigen Tagen, das ist jedem klar,
War Rapunzel fertig mit ihrem Haar.
Ein kurzer Blick in den Spiegel und dann
Trat sie überglücklich ans Fenster heran:

Mein Liebster, ich lasse das Haar rasch herunter,
Doch jener schlief fest unterm Busch des Holunder.

David Damm, 2022

Bianca Körner zelebriert im April auf Instagram den Poesiemonat, den National Poetry Month. Jeden Tag stellt sie eine Aufgabe und ich mache mit.
Die 6. Aufgabe lautete: »Schreibe über dein Haar.« Ich habe die Aufgabe minimal abgewandelt und über jemandes anderen Haare geschrieben.

Tafelkultur

Es war einmal … eine Herzogin, die zur Tafel in den holzvertäfelten Speisesaal geladen hatte. Es gab für die Gäste Tafelspitz. Der Koch hatte ihn mit feinkörnigem Tafelsalz gewürzt und servierte die Speise mit einer cremigen Soße aus Tafel-Meerrettich. Zerlaufene Tafelbutter wurde auf die Kartoffeln gegeben. Dazu wurde Wein und ein kühles Tafelwasser gereicht. Gespeist wurde mit dem familiären Tafelbesteck aus Tafelsilber. Das Tafelgeschirr war aus weißem Porzellan mit feinen blauen Linien. Der Tisch war mit einem großen, weißen Tafeltuch eingedeckt. Die Tafelleuchter standen auf der Mitte und die Flammen der Kerzen flackerten. Als Nachspeise hatte die Herzogin Tafelbirnen ernten und Tafeltrauben importieren und bereitstellen lassen. Süße Mäuler konnten auch ein Stück von einer Schokoladentafel wählen. Mit wässrigem Mund saßen die Gäste an der reich geschmückten Tafelrunde, klapperten mit dem Besteck und warteten, dass der Hofnarr sein Tafellied anstimmte:

Wir wollen fein und lange tafeln,
Als nur von Wein und Schwein zu schwafeln.

Die Tafelnden griffen begierig zu, spießten mit dem glänzenden Tafelbesteck die Speisen auf und führten sie den Mündern zu. Der Hofnarr spielte währenddessen keine schöne, aber dafür umso lautere Tafelmusik, um die schmatzenden Geräusche zu übertönen.

Und heutzutage … muss man nicht mehr so einen Aufwand betreiben: man geht einfach in ein Lebensmittelgeschäft, kauft ein tafelfertiges Essen, erwärmt es zuhause in der Mikrowelle und kann wenige Minuten später seine Tafelfreuden genießen.

Nymphenzauber

Die göttlichste Schönheit, die Wassernymphe,
Entstieg einer Quelle unweit der Sümpfe,
Den Schoß bedeckte sie mit nur einem Blatt,
Das unter dem Feigenbaum gelegen hat.

Aus dem wildesten Dickicht, nur Sträucher und Stümpfe,
Kroch ein Wesen der seltenen Gattung der Schlümpfe,
Er reckte und streckte sich wie ein Akrobat,
Bis er auf dem Baumstumpf gesessen hat.

»Du bist wunderschön«, sprach der Schlumpf zu der Nymphe,
»Doch verzeihe mir, wenn ich die Nase rümpfe.
Deine Haut ist so rein und eben und glatt,
Doch stinkst du abscheulich nach Knoblauchsalat.«

»Mein lieber Freund, was soll das Geschimpfe?
Sind Meckern und Tadeln deine einzigen Trümpfe?
Siehst dich unverschämt an meiner Blöße satt,
Weißt du nicht, was es heißt, wenn man Anstand hat?«

Daraufhin verschwand für einen Moment die Nymphe,
Zog sich ein Fischernetz an und löchrige Strümpfe,
»Du hast mich verletzt, du hölzerner Schrat!«,
Indes dieser turnte – er übte Spagat.

Augenblicklich besann sich der Waldschrat der Schlümpfe,
Und versprach: »Nie wieder will ich dich verunglimpfe!«
Er unterstrich seine Absicht mit einer guten Tat,
Dann trollte er sich demütig auf dem Uferpfad.

So sieht man des Nachts manchmal Nymphen und Schlümpfe
Beim Schwimmen und Tauchen durch Seen und Sümpfe,
Und sind sie von dieser Ertüchtigung platt,
Stärken sie sich gemeinsam am Knoblauchsalat.

David Damm, 2021

Spuk

Spuk,
Abenteuer, Märchen,
Geschichten der Fantasie,
Erzählt über viele Generationen,
Naturverbunden.

David Damm, 2020

Eines von elf Elfchen, geschrieben am 11. 11., dem Elfchen-Tag.

Rotkäppchen

Es streifte heimlich durch den Wald
Ohne Rast und ohne Halt,
Konnte über Wipfel fliegen,
Niemand konnt’ es je besiegen.
Lange Arme, dürre Beine,
Große Köpfe oder keine?
Nur ein Schatten ward zu seh’n,
Finster matt, doch schaurig schön.

Sorglos auf dem Wege schritt
Ein Mädchen leichten Fußes Tritt.
Rot den Schal um’s Haar gebunden,
Zog sie aus, um zu erkunden,
Was die große Welt ihr böte,
Ohne Sorgen, ohne Nöte,
Einen neuen Neuanfang,
Gefolgt des Herzens tiefsten Drang.

Doch in jener dunklen Nacht
Ward das Wesen grad erwacht
Als der Bäume Stimmen starben,
Alle Vöglein Stille gaben.
Nur ein leiser Atem hauchte,
Als das Mädchen Schlafe brauchte,
Legt’ es sich beseelt zur Ruh’,
Schloss beide Äuglein müde zu.

Mit festem Blick und Löw’gebrüll
Fährt es herab, zerstört die Still’
Und packt das Mädchen, fürchtet nicht,
Grün funkelt Katzenaugenlicht.
Erwidert Macht mit bloßer Liebe,
Versetzt Gefühle statt der Hiebe,
Sodass das Monster fort zerrinnt,
Zerfällt zu Asche, Staub und Wind.

David Damm, 2013

Rotkäppchen.mp3