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Es schnieselt

Es ist Winter. Und in einem ordentlichen Winter sollte es auch schneien. Den schlimmsten Winter seit langem gab es 1978/1979. Meterhoch lag der Schnee selbst in Berlin und weiter im Norden. Ganze Inseln und Ortschaften waren von der übrigen Welt abgeschnitten, Telefon- und Stromnetze brachen zusammen. Die Menschen mussten Tage, wenn nicht sogar Wochen, ausharren, um Hilfe von außen zu bekommen. Oder sie warteten auf steigende Temperaturen, die der Beginn des Frühlings im März und April versprach.

Mitte Dezember 2020 sitze ich zuhause am Fenster. Meine Füße sind auf der warmen Heizung abgelegt und ich blicke verträumt nach draußen. Berlin ist grau. Graue Wolken. Graue Straßen. Doch plötzlich weht etwas Unbekanntes durch die Luft. Etwas kleines, das leicht im Wind segelt, ja, geradezu wie ein Engel herab schwebt. Und als es auf die Erde trifft, löst es sich in Wohlgefallen auf. So schnell wie es erschienen war, ist es auch wieder verschwunden.
Ich frage mich, ob ich halluziniere, aber nein, da sehe ich noch ein Flöckchen. Und noch eines. Tatsächlich, es sind weiße, zarte Schneeflöckchen. Ich möchte das Fenster aufreißen und hinaus schreien: »Hurra, es schneit!«
Doch ich reiße mich zusammen. Die drei Flöckchen lassen sich an einer Hand abzählen. Hier von Schneefall zu sprechen, wäre stark übertrieben. Nein, es ist auch wirklich kein Hagel, auch kein Graupel. Es ist kein Nieselregen. Ich würde ja sagen, und das trifft es tatsächlich am besten: es schnieselt. Seelenruhig fallen hier und da die weißen Eiskristalle hernieder, dass es dem Kinderherzen eine Freude ist, sie zu betrachten, wie sie langsam aus dem grauen Grau hinab trudeln.

In den Berliner Nachrichten wird von gelegentlichem Schneefall gesprochen. Im Fernsehen steht eine Meteorologin in Dresden vor der Semper-Oper und spricht sogar von einem Schneesturm, währenddessen große, aber doch nur wenige, Schneeflocken über ihr herab rieseln und keineswegs liegen bleiben. Ein Sturm ist es auch nicht, denn die Flocken wehen nur leicht im Wind. Ich hätte einfach gesagt, dass es schneit.
Es sieht so aus, als müssten wir die Sprache und Begriffe des Wetters in Zeiten der Klimaerwärmung neu definieren.

Während ich am Fenster saß und diese Beobachtung machte, suchte ich nach einem Begriff, der schwachen Schneefall beschreiben kann. Bei schwachem Regen spricht man häufig von Nieselregen oder kurz Niesel. In Analogie dazu erschuf ich das Wort Schniesel, also Schnee-Niesel. Eine Internetsuche brachte dann aber zum Vorschein, dass ich nicht der erste war, der diesen Gedankengang hatte, wie man z. B. hier beim Tagesspiegel nachlesen kann.

Frühling im Anflug

Der Tag beginnt noch einmal blau, ich höre die Wildgänse rufen. Zwischen den kahlen Ästen der Bäume kann ich sie nicht erspähen.

Mittags zeichnet sich eine kleine Wolke ab, ganz zart verwirbelt weht sie über den Himmel. Ein Schwarm Graugänse, jetzt ist mein Blick frei, zieht nach Osten. Die vordere V-Formation birgt zweihundert Tiere, die zweite etwa fünfzig. Ihre Schreie gellen über die Stadt. Tausende fliegen im Laufe des Tages über Berlin.

Nachmittags verdichten sich die Wolken. Die Sonne sucht sich ihren Weg und ergießt ihre Strahlen aus dem goldenen Schmelztiegel in die Zwischenräume.

Rasch wird es dunkel, das Restlicht ist um 6 verschwunden. Ich schwitze in meiner Winterjacke. Mütze, Schal und Handschuhe landen als überflüssiger Ballast im Rucksack. Es beginnt zu tröpfeln. Von den feuchten Straßen steigt ein Duft hinauf, genau so wie nach einem warmen Sommerregen. Es riecht nach Frühling.

16. Februar 2017