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Kaskaden am Alexanderplatz

Fernsehturm

Die Lokführer der Berliner S-Bahn streiken. Schon wieder! Ich musste auf den Bus M48 ausweichen, um zum Alexanderplatz zu kommen. Die Spitze des Fernsehturms ragt an diesem Herbsttag besonders hoch hinauf. Sie ist in dichten Nebel gehüllt. Und es scheint, als würde auf dem rot-weiß-gestreiften Holzstab eine riesige Zuckerwattenwolke sitzen, die nur darauf wartete, von Kindern mit klebrigen Patsche-Händchen zerpflückt zu werden.

Vor dem Eingang des Fernsehturms, der die Tage seinen 45. Geburtstag feiert, tummelt sich das brandneue Maskottchen »Turmi« und animiert die Touristen, mit dem Fahrstuhl in die Kugel hinaufzufahren und die Aussicht aus 203 Metern Höhe zu genießen. Nur das dunstige Wetter dürfte den sonst so großartigen Rundumblick vermiesen.

Ich quere am Fuße des Turmes den schmalen, düsteren Durchgang zwischen Spielbank und Restaurant. Auf den Treppenstufen sitzt eine Obdachlose auf einer warmen Decke. Zahlreiche Tüten mit ihrem Hab und Gut umgeben sie. Fast heimisch hat sie sich dort eingerichtet. Sie isst eine Banane und wirkt zufrieden und glücklich. Für diesen Tag. Für diesen Moment.

Die Fontänen der symmetrisch angeordneten Wasserkaskaden beginnen zu sprudeln. Sie vollführen eine einstudierte Choreographie in nahezu perfekter Synchronität. Nur der Wasserdruck einer einzigen Fontäne ist zu stark, so dass der Strahl einen halben Meter zu weit und zu hoch sprüht. Eine Frau steht auf einer Terassenebene inmitten der Kaskaden, während ihr Mann ein Foto von ihr mit dem Fernsehturm im Hintergrund schießt. Die Frau sieht nicht in die Kamera, trägt aber ein Lächeln im Gesicht. Die Fontänen wechseln ihre Figuren, pausieren für einen Augenblick, um mit doppelter Intensität in die Höhe zu schießen. Die Frau verschluckt ihren Aufschrei und steht wie gebannt unter der kalten Dusche. Mit beiden Händen umfasst sie fest ihren Blindenstock und harrt leicht zusammengekrümmt auf dem Podest aus. Ihr Mann eilt aus der Ferne zu ihr, steigt über die schmalen Podeste, zwischen denen das Wasser in die tiefergelegene Kaskade fällt. Er packt sie am Arm und leitet sie über die rutschigen Tritte auf den Gehweg zurück. Dort angekommen, hilft er ihr, die durchnässte Jacke abzulegen. Er legt ihr seine um, die fast trocken geblieben ist. Die Kamera um seinen Hals hat keinen Tropfen abbekommen. Er betrachtet das Foto und beide müssen vorsichtig lachen. Was tut man nicht alles, um ein gutes Foto zu bekommen!

Lärm am Adenauer Platz

U-Bahnhof Adenauer Platz. Ich steige die Treppenstufen hinauf und wundere mich über den zunehmenden Lärm. Autos hupen. Reifen quietschen. Gegröle. Ich stehe auf dem Kudamm und frage mich, ob heute ein Fußballspiel statt gefunden hat, das es zu feiern gilt. Doch die Weltmeisterschaft ist längst vorbei – Deutschland ist Weltmeister. Gruppen von Fahrzeugen blockieren die gesamte Straße, rollen absichtlich langsam vorwärts, um mit einem Mal Vollgas zu geben. Die Reifen drehen durch. Es riecht nach Gummi. Die Fensterschreiben sind herunter gekurbelt und die Menschen lachen und freuen sich. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich, dass auf der Motorhaube eines dicken Mercedes ein weißer Blumenstrauß mit langen Bändern befestigt ist. Die Kolonne wendet an der nächsten Ampel und fährt die Strecke von hundert Metern immer wieder im Kreis. Die Stimmung ist laut und ausgelassen. Eine türkische Hochzeit.

Einige Schritte die Straße weiter, steht vor den Glasfenstern eines geschlossenen Geschäftes ein junger, bärtiger Mann mit langen Haaren. Mit blankem Oberkörper und nur mit einem karierten Schottenrock und Boots bekleidet, wartet er auf irgendetwas und genießt sein Bier allein.

Fahrkartenautomat

Ich stehe vor dem Fahrkartenautomaten in der U-Bahn. Es gibt immer zwei – einen, der nur Kleingeld oder Karte akzeptiert, und direkt dahinter einen, der auch Scheine annimmt. Da ich mir eine Viererkarte fürs Stadtgebiet AB holen will und noch eine Viererkarte für ABC, um damit ins Brandenburger Umland fahren zu können, wähle ich den Automaten mit den Scheinen. Ich zahle ungern mit Karte. Ich habe einen Zwanziger in der Tasche und dürfte maximal vier Euro wieder bekommen. Ich wähle die Viererkarte AB aus und möchte nun die andere hinzunehmen, aber ich finde die Option nicht. Es gibt keine Taste auf der steht »Weitere Fahrscheine auswählen«!
Ich breche ab, versuche es noch ein Mal, vielleicht habe ich zuvor die falsche Taste gedrückt. Aber nein, wieder! Nichts zu machen. Na gut, sage ich mir, dann kaufe ich sie eben einzeln. Ich zücke den Zwanziger und freue mich schon auf den Jackpot, wenn das Wechselgeld in die Schublade klimpert. 8,80 € sind zu zahlen. Doch der verdammte Automat will auch meinen Zwanziger nicht. Bisher nahm jeder Automat Fünfer, Zehner und Zwanziger. Dieser hier will aber nur Fünfer und Zehner schlucken. Mist! Hätte ich beide Fahrscheine kombinieren können, hätte er sicher auch den Zwanziger genommen, aber das war mir unmöglich. So kommt mir die Idee, es am Automaten am anderen Ende des Bahnsteigs erneut zu versuchen. Doch auch hier Enttäuschung – das gleiche Spiel. Verdrossen und verzweifelt krame ich in meiner Kleingeldbörse und finde glücklicherweise noch ein paar Münzen, um mir wenigstens einen Einzelfahrschein AB für 2,60 € kaufen zu können. In der Zwischenzeit ist mir eine Bahn vor der Nase weggefahren. Zerknirscht steige ich in die nächste ein und frage mich, wo die richtigen Automaten stehen – etwa nur auf den S-Bahn-Bahnsteigen?
Und noch etwas – es gibt gar keine Viererkarten für ABC, nur für AB. Wieder was gelernt.

Im Grunewald

von David Damm

Die Blätter schimmern silbergold
Nach einem Stadtlandregen,
Die Sonne hat uns Glück gezollt,
Kaum Dunst liegt auf den Wegen.

Es knackt im Holz, dein scheuer Blick,
Die Luft so rein und klar,
Die Füße tragen Stück für Stück,
Mein Herz klopft sonderbar.

Die Wildschweinrotte wühlte tief
Am feuchten Wegesrand,
Hab keine Furcht, nichts gehet schief,
Fest halt′ ich deine Hand.

In Einsamkeit mit Sinnesruh
Durchschreiten wir den Wald,
Im Dunkeln sieht uns niemand zu,
Du zitterst, es wird kalt.

Ich lege meinen Arm um dich,
Mein allerliebstes Kind,
Und spürest du die Wärme nicht,
So ist′s der kühle Wind.

Bald rasten wir am Teufelssee
An einer Haselnuss,
Und flüchtig wie ein junges Reh
Schenkst du mir einen Kuss.

Auf den Strassen

von David Damm

Wir gehen auf den Strassen
Und suchen nach den Gassen,
Ein Auto kommt entgegen,
Wir weichen von den Wegen.

Dieser Kurzreim entstand spontan während einer Wanderung durch den Norden Berlins, als wir an einer Kleingartenkolonie vorbei kamen und auf einem Schild falsch geschrieben »Strasse« statt »Straße« stand.

Lyrikmarkt 2014

Bücherstände auf dem Lyrikmarkt

Bücherstände auf dem Lyrikmarkt

Heute fand der Lyrikmarkt im Rahmen des 15. Poesiefestivals in Berlin statt. Der Lyrikmarkt bildete den Abschluss des gut einwöchigen Festivals, das durch viele Lesungen, Diskussionen, kleinere Konzerte und Aufführungen begleitet wurde. Thematisch wurde sich mit der aktuellen Lage in Syrien und in der Türkei auseinandergesetzt, aber auch mit dem 1. Weltkrieg, der vor genau 100 Jahren ausgebrochen war. Insgesamt fanden 49 Veranstaltungen an den neun Tagen vom 5.–13. Juni statt. Das Festival lockte laut Veranstalter (Quelle: News von literaturwerkstatt.org) knapp 8000 Besucher an und wurde durch 150 Künstlerinnen und Künstler aus 21 Ländern bereichert. Weiterlesen

Feierabend am See

Mit dem Rad zum Wannsee,
Pause 
Mit dem Löwen im Nacken.
Im Schatten sitzend
Und auf das Strandbad blickend –
Wannsee himmelblau.

Enten warten
Auf Futter,
Auf Augenhöhe,
Auf der Ballustrade.

Ein kleiner Junge bringt Brot,
Reißt ein Stück von seinem Brötchen,
Reicht es den Enten.
Verfehlt. Er lacht.

Der Erpel schnattert,
Reckt seinen gierigen Hals –
Immer schön oben bleiben,
Aussicht genießen.

Gib mir alles!
Schnipp, schnapp!

Aua, der Junge erschrickt,
Das Brötchen ist weg.
Papa?

Die Ente schlingt,
Sie würgt und ächzt.
Geschafft.
Mehr!

Hosen runter.

19 Uhr.
Wir bedanken uns für ihren Besuch.
Kommen sie gut nach Hause.
Besuchen sie uns bald wieder.

Das Strandbad ist leer.

Wann ist ein Gedicht ein Gedicht?

Am Dienstag fand in der Kulturbrauerei eine Gesprächsrunde statt, in der diskutiert wurde, was ein Gedicht überhaupt zu einem Gedicht macht. Die Veranstaltung wurde von der Literaturwerkstatt Berlin organisiert. Als Gäste waren Kerstin Hensel und Monika Rinck geladen, die Moderation übernahm Gabriele von Arnim.

Auch Goethe hat blöde Gedichte geschrieben.

Zitat von Kerstin Hensel

Kerstin Hensel, die als Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Deutsche Verssprache unterrichtet, stellte an diesem Abend ihr neu erschienenes Buch »Das verspielte Papier« vor. In diesem Buch versucht sie, jedem einen einfachen Zugang zu Gedichten zu ermöglichen. Denn das Analysieren von Gedichten ist Arbeit, die jedoch Freude bereiten soll.

Im Laufe des Abends kristallisierten sich mehrere Punkte heraus, die nach Meinung der Autorinnen ein Gedicht oder sogar ein gutes Gedicht ausmachen:

  • Ein Gedicht ist ein Gedicht, wenn es vom Autor als solches betitelt wird
  • Gedichte bergen ein Geheimnis, das man sonst nicht anders ausdrücken kann
  • Gedichte sind Rätsel raten, und das wiederum ist Arbeit
  • Gedichte bändigen die Gefühle in der Kürze
  • Gedichte schreibt man wegen Zeitmangels, denn Lyrik braucht kein Sitzfleisch
  • In Gedichten soll eine Welt sein oder in ihnen entstehen

Hensel hat eine mögliche Antwort auf die Frage wie folgt auf den Punkt gebracht:

Lyrik sind Verse. Prosa sind Sätze.

Zitat von Kerstin Hensel

Der Stadtfuchs

Stadtfuchs (Rotfuchs)

Stadtfuchs (Rotfuchs)

von David Damm

In der Dämmerung des Winters
Schleicht ein Fuchs durchs Wohngebiet,
Und erschreckt mein Herz gar heftig,
Weil man ihn so selten sieht.

Ein paar Schritte nur entfernt,
Steht er auf dem Bürgersteig
Und beäugt mich ohne Bangen –
Ich verharre und ich schweig’.

Mit zwei weit gespitzten Ohren
Lauscht das wohl genährte Tier,
Und mich dünkt als wollt’ er sagen:
»Hab doch keine Angst vor mir!«

Da sein Weg durch mich versperrt,
Zieht er einen großen Kreis,
Trabt zur and’ren Straßenseite
Durch das schneebeglänzte Weiß.

Hinter eisbezapften Autos
Schwindet er für’n Augenblick,
Und kehrt wieder auf den Gehweg
Weit entfernt von mir zurück.

Und so zieht er durch die Gassen,
Immer einsam und allein,
Auf der Hut vor Menschenskindern,
Dass er lang’ wird glücklich sein.

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Noteinsatz

Gestern, am Montag Morgen, bin ich auf meinem Weg zur Arbeit auf ein fast schon absonderliches Schild am Straßenrand gestoßen – und das nicht nur, wegen der kreativen Gestaltung. Es handelte sich um ein Parkverbotsschild mit folgendem Wortlaut:

dringende
Baumarbeiten
Astbruchgefahr
Noteinsatz

Nun dauerte der Noteinsatz mindestens zwei Tage bis das Schild wieder verschwunden war. Eine Veränderung am Baumbestand oder am Beschnitt war für mich als Laien nicht erkennbar. Genauso wenig war ersichtlich, dass es vorher eine allzu dringende Astbruchgefahr gegeben hätte. So hätte man doch, wenn diese tatsächlich bestanden hätte, zumindest den oder die Äste sofort absägen müssen, oder den Gehweg sichern und absperren müssen. Beides ist jedoch nicht geschehen. Somit kann es sich wohl kaum um einen Noteinsatz (mit Blaulicht) gehandelt haben. Der Baum-Patient hat die Behandlung aber zum Glück überlebt und die Gefahr wurde scheinbar gebannt.

Oktober

Städter eilen durch die Straßen,
Wo die Einsamkeit entspringt,
Wenn die Kälte vor den Mänteln
Unter Haut und Leder dringt.

Wolken walzen über Häuser,
Hoch wie Türme steh’n sie starr,
Grau in grau trotzt die Fassade,
Und ein Fenster klappert da.

Regen prasselt gegen Scheiben,
Schirmchen biegen sich gar krumm,
Könnt‘ ich nur ein Stück verweilen,
Und Entfliehen vor dem Sturm.

David Damm, 2013

Wahltag

Mit Tippeln und Tappen
In Stöckeln und Schlappen
Schreitet das Fußvolk voran.
Familien und Pärchen,
Und Hündchen mit Herrchen
Kommen im Wahllokal an.

In Hemd und Krawatte
Beginnt die Debatte
Während des Wartens im Gang.
Wen sollte man wählen,
Denn jeder wird zählen –
Die nächsten vier Jahre lang.

Den Ausweis gezückt,
Mit dem Zettel bestückt
Gehts rasch ins Kämmerlein.
Das Kreuzchen hier setzen
Und nur nichts verpetzen,
Denn diese Wahl ist geheim!

Unwetter

In den letzten Nächten gab es in Berlin kräftige Sommergewitter. Es hat aus Kübeln geschüttet und unaufhörlich geblitzt und gedonnert. Da habe ich schnell meine Kamera gepackt, auf ein Stativ hinter die Fensterscheibe gestellt und mehrere Serien von jeweils 9 Fotos geschossen, wobei ich jedes einzelne 10 Sekunden belichtet habe. Die Blitz-Ausbeute lag sicher unter 5%, jedoch hat es für einen schönen Doppelblitz gereicht.

Frühling in Berlin

Der Frühling – zag und unscheinbar –
Zieht durch die Straßen von Berlin
Und rüttelt an den Glockenblumen,
Die weiß wie Schnee ringsum erblüh’n.

David Damm