Am Nachmittag des ersten Tages der Buchmesse fand in der Glashalle die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse statt. Um 16 Uhr hatte sich die Presse dort versammelt. Die Stühle waren bis auf den letzten Platz besetzt. Ich kam zu spät und beschloss, nicht den meist langweiligen Reden zu lauschen, sondern noch einmal durch die Hallen zu schlendern.
Es verschlug mich erneut in die Halle 5, wo auch die Selfpublishing-Anbieter vertreten waren. Ich schlich wahllos durch die Gänge auf der Suche nach etwas Besonderem, als plötzlich ein lauter Aufschrei zu hören war. Das muss ganz um die Ecke gewesen sein, so dass ich dem Ruf folgte.
Am Stand des Verlages Schöffling & Co herrschte reges Treiben. Sektgläser standen auf dem Präsentationstisch. Eine junge Frau las auf ihrem Smartphone und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Zwei Bücher standen im Vordergrund des Tisches. Eine weitere junge Frau gesellte sich dazu und lies die Sektkorken knallen. Sie füllten die Gläser mit dem sprudelnden Getränk, das vielleicht auch Champagner war.
Frohburg ist das gewichtigste Buch dieser Tage. In jeder Hinsicht.
– Andreas Platthaus, FAZ
Eine freudige Unruhe breitete sich aus und niemand der vorbei kommenden Besucher wusste so recht, was hier gerade geschehen war. Die Leute tuschelten, schauten verwirrt und fragten ihren jeweiligen Nachbar, ob der wisse, was passiert sei. Es bildete sich eine kleine Traube und die Vermutung lag nahe, dass es etwas mit dem Preis der Leipziger Buchmesse zu tun haben musste, denn an den Wänden des Standes hingen zwei »Nominiert«-Schilder und es war kurz vor Fünf – der Zeitpunkt, an dem die Gewinner auf der Pressekonferenz in der Glashalle bekannt gegeben worden sein mussten.
Ich fragte jemanden am Stand und erhielt die Gewissheit, dass der kleine Verlag sogar mit den beiden nominierten Büchern im Bereich Belletristik und Übersetzung gewonnen hatte.
Ich hatte die leise Hoffnung, dass die Gewinner (Guntram Vesper mit »Frohburg«, Brigitte Döbert mit »Die Tutoren von Bora Ćosić«) bald zum Stand kommen würden, bevor der Sekt warm wäre, und wartete. Als Favorit in der Belletristik wurde der Roman »Der goldene Handschuh« von Heinz Strunk gehandelt. Umso schöner ist es, dass sich ein kleiner Verlag gegen renommierte Verlage durchsetzen konnte.
Neben der Freude über den Erfolg wurden Befürchtungen laut, ob man denn dem zu erwartenden Ansturm auf die Bücher gewachsen sei und mit dem Druck nachkäme. Manch ein gewiefter Leser hatte vielleicht darauf gewettet und sich im vorhinein einen Vorrat der Bücher angelegt, um diese bei einem Engpass in der Druckerei mit Gewinn über ebay verkaufen zu können.
Ein Mann stellte sich zu mir und wir kamen ins Gespräch. Er fragte mich, ob ich aus Leipzig sei; ich verneinte − Berlin. Wo denn genau? Steglitz. An einem Stand nebenan hätte er über ein Buch erfahren, in dem von einer iranischen Familie in den 80er Jahren erzählt wird. Sie wollten nach Westdeutschland, erhielten aber keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie wussten aber, dass man in der DDR ein 30-Stunden-Visum bekommt. Nach ihrer Ankunft in Berlin-Ost gingen sie direkt zur Friedrichstraße. Als das Visum abgelaufen war, wurden sie von der DDR schnurstracks in den Westen abgeschoben. Sie hatten sich einen Trick zunutze gemacht: die DDR hatte ein geheimes Abkommen mit der BRD , dass sie alle Flüchtlinge aufnehmen müssen. Was für ein raffinierter Plan! Leider sagte er mir zum Abschluss nicht, wie das Buch hieß.
Inzwischen war ein Mann mit Eimer, Wassersprühflasche, Plastikkärtchen und zwei langen Aufklebern von der Messe aufgetaucht. Ein kleines Kamerateam war auch da und hielt den Moment fest, in dem die beiden »Nominiert«-Schilder mit »Preis der Leipziger Buchmesse« überklebt wurden. Strahlende stolze Gesichter. Schulterklopfen.
Nachdem ich fast eine halbe Stunde in der Nähe des Verlagsstandes zugebracht hatte und immer noch keiner der Gewinner aufgetaucht war, musste ich mich allmählich Richtung Ausgang begeben. In der Glashalle kam ich am blauen Sofa vorbei und hatte das Glück dort noch den Preisträger für das beste Sachbuch und Frau Döbert in einem Interview zu sehen.
Das Buch, dass sie aus dem Serbischen übersetzt hatte, ist in der Originalsprache nicht mehr lieferbar. Bevor sie sich an die Übersetzung des Werkes gewagt hatte, galt es als nahezu unübersetzbares Buch. Insbesondere wegen der historischen, gebundenen Sprache, der Witze und Reime, die sich nicht 1:1 ins Deutsche übertragen ließen. So soll der Autor des serbischen Originals zu ihr gesagt haben: »Sie hat mit einem schrägen Blick ins Original ihr eigenes Buch geschrieben.« Woraufhin sie erwidert haben soll, dass sie nicht wisse, ob das ein Kompliment gewesen sei oder nicht.